Nicht in unserem Namen!
kürzlich hat sich eine Initiative aus
Anwohner_innen des Bahnhofsviertels gegründet, um in einem offenen Brief
auf die ihrer Ansicht nach unerträglich gewordene Belastung durch die
hiesige Drogenszene aufmerksam zu machen http://bahnhofsviertelfrankfurt.wordpress.com/.
Ihr Vorstoß hat ein relativ großes Echo in der Presse und bei
Offiziellen der Stadt gefunden. Uns – ebenfalls mitunter seit vielen
Jahren Anwohner_innen des Bahnhofsviertels – hat das überrascht. Wir
konnten nicht nachvollziehen, wieso aus der dichten Gemengelage an
Problemen im Bahnhofsviertel ausgerechnet die Drogenszene
herausgegriffen wird. Aber auch die Resonanz in der Öffentlichkeit
machte uns nachdenklich. Wie kann es sein, dass plötzlich international
renommierte „Frankfurter Modell“ der Drogenpolitik in Frage gestellt
wird, ohne dass sich an der Faktenlage grundsätzlich etwas geändert hat?
Als Anwohner_innen des Bahnhofsviertels sehen wir uns in der
Verantwortung, unsere alternative, aber ganz und gar nicht marginale
Sicht auf das Leben im Viertel gegen einen unserer Ansicht nach
verkürzten und verkehrten Blick zu stellen.
Wir leben gerne im
Bahnhofsviertel – aus unterschiedlichen Gründen und mit
unterschiedlichen Hintergründen. Gleichwohl birgt der Alltag hier im
Viertel auch etliche Ärgernisse. Homophobe, sexistische und rassistische
Anmache gehören für uns hier leider zum Alltag. Gerade der öffentliche
Raum der Taunusstraße ist fest in Männerhand. Die bierselige Stimmung
des ein oder anderen Junggesellenabschieds schlägt schnell in Aggression
um, wenn irgendetwas oder irgendjemand nicht in das Schema der
Herrengesellschaft passt. Waren die Mieten auf der Kaiserstraße schon
seit eh und je astronomisch hoch, steigen Mieten nun auch auf der
Münchener Straße in für viele bisherige Bewohner_innen unbezahlbare
Dimensionen. Die momentan im Bau befindlichen Wohnkomplexe …. werden
diese Situation wohl noch verschärfen. Im Vergleich zu diesen handfesten
Problemen und Bedrohungen für das Zusammenleben im Viertel in sowohl
ökonomischer als auch kultureller Hinsicht scheint die Drogenszene ein
zu vernachlässigendes Problem darzustellen. Unser Alltag mit der
Drogenszene gestaltet sich als zumeist problemloses nebeneinanderher
leben. Reibungen, die eher durch Missverständnisse als durch bösen
Willen entstehen, sind wir bereit in Kauf zu nehmen. Wir leben in einer
global city in einer pulsierenden Nachbarschaft, die viele
unterschiedliche Lebensstile beherbergt. Damit ein solches Zusammenleben
weiter möglich bleibt, braucht es eine Kultur der Toleranz, die nicht
nur akzeptiert, was ohnehin gewünscht wird – das „bunte“ vielfältige
Leben des Bahnhofsviertels – sondern auch erträgt, was einem vielleicht
nicht passen mag. Gewiss, Toleranz endet dort wo es wehtut, bedrohlich,
beleidigend und gefährlich wird, aber eben nicht schon dort, wo es nur
ein bisschen ungemütlich ist. Zu einer solchen Kultur der Toleranz würde
unserer Meinung nach als allererstes gehören, zu akzeptieren, dass die
Junkies genauso Bewohner_innen des Bahnhofsviertels sind, wie wir
Anwohner_innen, die wir hier unseren „festen“ Wohnsitz haben. Ein Recht
auf das Viertel erwirkt man sich nicht durch das Bezahlen von Miete oder
den Erwerb von Eigentum, sondern durch die Nutzung des Viertels, durch
dessen Bewohnung.
Es geht uns nicht darum, für die Drogenszene zu
sprechen oder das Leben mit der Sucht zu glorifizieren. Wir wenden uns
aber gegen eine aggressive Argumentationsstrategie, die alle Probleme
des Bahnhofsviertels auf die Drogenszene reduziert, die mit den Junkies
Menschen attackiert, die ohnehin marginalisiert sind, die auf keinen
Fall widersprechen werden, weil ihre Stimmen (selbst wenn sie etwas
sagen wollten) öffentlich nicht gehört werden.
Die
„Anwohnerinitiative“ geht nicht von einer faktisch verschlimmerten Lage
oder einer größeren Bedrohung durch Junkies aus. Die Vorfälle, welche im
offenen Brief geschildert wurden, sind selbstverständlich für die
Betroffenen gravierend, das will niemand in Abrede stellen. Dass solche
Erfahrungen eine emotionale Reaktion auf die wahrgenommenen Probleme
auslöst, ist durchaus nachvollziehbar. Gleichwohl handelt es sich
lediglich um episodische Erfahrungen. Diese wurden im Brief der
Anwohnerinitiative in einem übermäßig aufgebrachten Ton vorgetragen, was
in Gruselszenarien nach dem Motto „stell dir mal vor wenn…“ gipfelte.
Politik kann sich aber nicht auf bloß anekdotische Evidenzen und
Angstwahrnehmungen bei Entscheidungen stützen. Statistiken über die
Wirksamkeit des „Frankfurter Modells“ sprechen hingegen eine klare
Sprache. Nach unserer persönlichen Wahrnehmung ist die Präsenz von
Drogenkonsument_innen auf der Straße in den letzten 10 Jahren ohnehin
zurückgegangen.
Wir haben nicht so sehr Angst vor einer
vermeintlich im Gange befindlichen Verschlimmerung der Gefährdung durch
die Drogenszene, sondern vor einem Rückfall in Zeiten mit weit über 100
Drogentoten jährlich. Wir haben ferner Angst vor einer kopflosen „law
and order“-Politik, die – wie die Ereignisse rund um die
Blockupy-Aktionstage eindrucksvoll bewiesen haben – häufig die größte
Beeinträchtigung für das öffentliche Leben in der Stadt darstellt. Wir
glauben nicht, dass die „Anwohnerinitiative“ wirklich die Mehrheit der
Bewohner_innen im Bahnhofsviertel repräsentiert. Deswegen formulieren
wir diesen Brief mit der deutlichen Absage: IHR SPRECHT NICHT IN UNSEREM
NAMEN!
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